Okay, ich bin überrrascht. Gelungen!
Die ersten Bücher, die Kirsten Boie unseren Vorleseabenden beifügte, waren die Bände vom Möwenweg. Bullerbüangehauchte Idylle in der Reihenhaussiedlung füllte in sieben Bänden unsere Vorleseabende. Auf "Wir Kinder aus dem Möwenweg" folgte "Weihnachten im Möwenweg". Wir begleiteten die Möwenwegkinder Tara, Tieneke, Petja & Co. auch im Sommer, erlebten mit ihnen Ostern, teilten ein "Geheimnis im Möwenweg", feierten "Geburstag im Möwenweg" und gelangten final in "Ein neues Jahr im Möwenweg". Ich hab mich nach unseren ausgiebigen Lesestreifzügen durch den Möwenweg auf Abwechslung gefreut. Unsere zauberhafte Tochter wäre gern noch bändeweise in der Reihenhaussiedlung geblieben. Etwas später haben die kleinen Fahrtenschreiber den "Seeräubermoses" kennengelernt und mit einem kleinen Helden an Bord kommt man auch am "Ritter Trenk" nicht vorbei. Kirsten Boie ist in der Villa keine Unbekannte.
"Der Junge, der Gedanken lesen konnte" lag aber nun über ein Jahr im Kinderzimmerregal rum. Ich habe das Buch im letzten Herbst in unserem Buchladen mit zur Kasse genommen, weil ich den Umschlag irgendwie gut fand und die Idee mit dem Friedhofskrimi klang ja nun wirklich spannend. Passt das nicht in den nebligen Herbst und den grauen November mit seinen besonderen Feiertagen?
Unser zauberhaftes Fräulein Fahrtenschreiber empfand gar nicht so und so lag es da. Monat für Monat. Bis jetzt. Und was soll ich sagen? Schon die ersten Seiten sind für eine Überraschung gut. Bei einigen Sätzen, die uns da so geliefert werden, stocke ich fast. Die obdachlose Alkoholikerin "Dicke Frau", die wüst vor sich hin flucht ist überzeugend skizziert.
Die Hauptfigur des Buches ist der russische Junge Valentin, der mit seiner alleinerziehender Mama ein neues Zuhause in Deutschland findet, während der Vater mit dem Bruder in Kasachstan bleibt. Valentin verbringt seine Sommerferien überwiegend allein, streift umher und landet auf dem nahegelegenen Friedhof. Dort lernt Valentin den netten, polnischen Friedhofsgärtner Bronislaw kennen und trifft auf das Ehepaar Schilinsky, die sich eine Grabstelle für ihr tägliches Picknick mit Würstchen, kalten Getränken aus der Kühlbox und Schlagermusik ausgesucht hat. Auch Herr Schmidt mit seinem Hund gehört zu den regelmäßigen Friedhofsbesuchern und zwischen Valentin und dem alten Mann, der seine verstorbene Frau Else besucht, entsteht eine Freundschaft. Als Brunislaw auf der Friedhofstoilette von einem Unbekannten niedergeschlagen wird und Valentin entdeckt, dass er die Gedanken anderer Menschen lesen kann, entspinnt sich ein spannender Krimi.
"Der Junge der Gedanken lesen konnte" nähert sich ernsten und brisanten Themen wie kulturelle Vielfalt, Freundschaft und Tod auf leichte und ungeheuer sensible Art und Weise. Eine gute Portion Humor und manchmal fast schon überspannte, skurrile Szenen entschärfen die Tragik und geben dem Kinderkrimi die richtige Würze. Ein Buch das wrklich wunderbar in den späten Herbst passt. Also: nicht länger warten, lesen!
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